Sanierungsfall Freiburg - Positionspapier der
FDP-Stadträte
aus: http://www.fdp-freiburg.de
, Kopie vom 26.11.2006
1) Die Finanzen der Stadt Freiburg
sind in einem verheerenden Zustand. Die Schulden allein der Stadt
belaufen sich auf 320 Mio Euro, alle Rücklagen sind
aufgebraucht. Das struk-turelle Defizit beträgt jährlich
35 bis 40 Mio Euro. Der Haushalt wird vom Regierungspräsidi-um
nicht mehr genehmigt.
Seit Jahren versucht die FDP, die
jeweilige Verwaltungsspitze zum Umdenken
zu bewegen. Den
letzten Haushaltsplänen haben wir nicht mehr zugestimmt, da
der Weg in die Verschuldung nicht verlassen wurde.
2)
Notwendig ist ein Sanierungskonzept, das in Zukunft
Neuverschuldung ausschließt, Abschied von Luxusprojekten
nimmt, die Verwaltungsstrukturen nachhaltig verändert und
eine vollständige Entschuldung ermöglicht.
Ein
derartiges Konzept legt die Kämmerei nicht vor – es ist
nicht vorhanden. Vielmehr wird ein überstürzter Verkauf
von 9000 Wohnungen vorgeschlagen –ohne
Unternehmensbewer-tung, ohne Angebote hiesiger Genossenschaften
auch nur zu ermöglichen und Alternativen gründlich zu
prüfen.
Nach den Überlegungen der Verwaltung
bliebe ein jährliches strukturelles Defizit von 9 bis 14 Mio
Euro übrig. An unfinanzierbaren Projekten (Bau einer
Stadtbahn über den Rotteck-/Werderring, Ausbau der
Heinrich-von-Stephan-Straße, Bau einer Messelinie) wird
trotz zu-sätzlicher Folgekosten festgehalten.
Sollen
wirklich Wohnungen für Straßenbahnen verkauft werden?
Auch diese Planungen – die jährlich mehrere
Hunderttausend Euro kosten – müssen gestoppt
werden.
3) Die FDP hält ein Gesamtkonzept für
unverzichtbar. Dabei ist es aus unserer Sicht einerseits klar,
dass die Stadt nicht alle ihre Wohnungen behalten kann und darf,
anderer-seits ein Grundbestand an derartigen Wohnungen notwendig
bleibt. Dies sieht auch die Ver-waltung im Ergebnis so: Das
Bauträgergeschäft soll eine (neue?) FSB fortführen,
es sollen neue Wohnungen gebaut werden (ohne dass deren Zahl
genannt wird).
Es ist jedoch eine bare
Selbstverständlichkeit, dass in vorhandenen Wohnungen auch
Miet-spiegel-Mieten günstiger sind, als in Neubauten. Es wäre
daher falsch, die Stadtbau zu zer-schlagen oder zu verschleudern.
Die Kaufpreisvorstellungen der Stadt orientieren sich nur am
Schuldenstand – die Wohnungen, Grundstücke und die
bestehende Firma sind mehr wert.
Dilettantisch aber ist es,
Preisvorstellungen in die Öffentlichkeit gelangen zu lassen,
ohne eine Unternehmensbewertung vorgenommen zu haben.
Ob
mit oder ohne Bürgerentscheid – die Verwaltung hat sich
verrannt.
4) Schulden, die in Jahrzehnten entstanden
sind, können und müssen nicht in wenigen Monaten getilgt
werden, das verlangt auch das Regierungspräsidium nicht.
In
mehreren Schritten kann die Entschuldung, die Sanierung der
Strukturen und die Geneh-migungsfähigkeit des Haushalts
erreicht werden:
5) Von den Anteilen der Stadt an der
Badenova können 7% veräußert werden. Da erst vor
wenigen Jahren 0,76% hinzugekauft wurden, steht fest, dass die
Verwaltung zu niedrige Erlöse nennt. Der Kaufpreis dürfte
bei 70 bis 75 Mio Euro liegen, denn die Anteile der Stadt sind
insgesamt 300 bis 400 Mio Euro wert.
(Exkurs: Deshalb
hätte statt einer Beteiligung an Badenova der Verkauf der FEW
schon im Jahre 2000 zu einer Komplettentschuldung geführt,
wie von der FDP damals vorgeschlagen.)
Werden 7% der Anteile
verkauft, verliert die Stadt natürlich in entsprechender Höhe
ihr Ge-winnbezugsrecht (ca 4,5 Mio Euro von derzeit 21,5 Mio
Euro). Es bleiben mit Gewerbesteuer und Konzessionsabgabe immer
noch 35 Mio Euro übrig. Die derzeitige Kapitalverzinsung
liegt nämlich lediglich bei 5 bis 7 %, also weniger, als der
entsprechende Schuldendienst der Stadt (26 Mio Euro bei 320 Mio
Schulden = über 8%!)
Wird der genannte Betrag sofort
zur Entschuldung verwandt (mehr geht 2006 ohne
Vorfällig-keitsentschädigung ohnehin nicht), sinkt der
Schuldendienst dementsprechend sofort von 26 auf unter 20 Mio Euro
– mehr, als die Gewinnreduzierung.
Der
Nachtragshaushalt 2006 ist damit genehmigungsfähig.
6)
Das Eigenkapital der Stadtwerke Freiburg beträgt derzeit rund
99 Mio Euro; die Ei-genkapitalquote liegt bei 71 Prozent und ist
damit für eine Gesellschaft, die ausschließlich als
Holding tätig ist und kein operatives Geschäft
wahrnimmt, nach Auffassung des Instituts der Wirtschaftsprüfer
(IdW) viel zu hoch. Da sich die Bilanzsumme darüber hinaus
bei einer Ver-äußerung von Anteilen an der Badenova
ohnehin ändert, könnte das Eigenkapital in Höhe von
rund 50 Mio reduziert werden (die ebenfalls für die
Entschuldung verwendet werden könnten).
Im
notwendigen, aber reduzierten Umfang müsste bei den
Stadtwerken dann eine Kreditauf-nahme erfolgen. Der Einsatz von
Fremdkapital wäre jedoch in wesentlich niedrigerem Um-fang
notwendig, als die Kapitalherabsetzung ausmacht.
Es darf
darauf verwiesen werden, dass die Stadt Freiburg beispielsweise
bei der Bildung der Eigenbetriebe Abfallwirtschaft und Abwasser
jeweils das komplette Eigenkapital in Höhe von insgesamt fast
39 Mio Euro entnommen hat – und den Eigenbetrieben nicht
einmal 30% belassen hat.
Beide Maßnahmen zusammen führen
somit zu einer Entschuldung in Höhe von 120 Mio Euro.
7)
Die FDP-Stadträte befürworten beim Wohnungsverkauf eine
Freiburger Lösung, sei es durch Veräußerung von
Wohnungen an bestehende Genossenschaften oder die Gründung
einer neuen Genossenschaft. Werden hierfür als Kaufpreis 200
bis 250 Mio Euro unterstellt, entstehen bei der FSB keinerlei
steuerliche Belastungen - anders als die Kämmerei immer
wieder behauptet.
Bei der FSB sind nämlich steuerliche
Verlustvorträge in einer Größenordnung vorhanden,
die unter Berücksichtigung des Wertes des Anlagevermögens
ohne weiteres einen Verkauf in dieser Größenordnung
zulassen, ohne dass Steuern anfallen.
Die so genannte
EK02-Problematik stellt sich im Übrigen nur dann, wenn von
Seiten der FSB Gewinne an die Stadt Freiburg ausgeschüttet
werden. Eine Ausschüttung ist jedoch dann nicht notwendig,
wenn statt dessen die Stadtbau der Stadt Freiburg Vermögenswerte,
bei-spielsweise Erbbaurechte oder Grundstücke, abkauft. Auch
wenn derartige Käufe nicht sofort stattfänden, entstünde
steuerlich deswegen kein Problem, weil immer noch eine Rücklage
nach § 6b EStG gebildet werden könnte.
Sanierungsfall
Freiburg - Positionspapier der FDP-Stadträte
Richtig
ist zwar, dass bei einer Veräußerung von Wohnungen im
Wert von beispielsweise 200 Mio Euro auch bei der Freiburger
Stadtbau anteilig Verbindlichkeiten getilgt werden müssen.
Gleichwohl blieben noch ohne weiteres Beträge in der
Größenordnung von mehr als 100 bis 150 Mio Euro übrig,
die für entsprechende Erwerbe verwendet werden könnten.
Dies
hat auch zusätzliche Vorteile für die Mieter: Freiburger
Baugenossenschaften haben ein exzellentes soziales Image, nahezu
die gleiche Mieterstruktur, ähnliche Miethöhen –
und bieten – über jede „Sozialcharta“
hinaus – ein lebenslängliches Wohnrecht für ihre
Mitglieder.
Durch bloße Umwandlung der Mietkautionen
könnten die Mieter außerdem Mitglieder der
Genossenschaft werden.
8) Darüber hinaus ist es
notwendig, das strukturelle Defizit bei der Stadt Freiburg
(das
auch bei einem Komplettverkauf verbleiben würde) energischer
anzugehen, als dies bisher von Seiten der Stadt vorgenommen worden
ist.
Gesellschaften wie beispielsweise die VAG oder die FWTM
benötigen keine zwei Geschäfts-führer. Ein
Geschäftsführer ist nach den erreichten Umsatzgrößen
ohne weiteres ausrei-chend.
Wir können es uns nicht
mehr leisten, dass für zeitweise bestehende Arbeitsgruppen
wie die Prise teure Büroflächen angemietet werden, wobei
die Stadt Freiburg in einem Zeitraum von mehr als 6 Monaten nicht
mal in der Lage war, den Stadträten der FDP mitzuteilen,
welche und wie viele Flächen für Büronutzung
überhaupt angemietet wurden. Von einem „Gebäu-demanagement“
kann keine Rede sein.
Es ist nachgewiesen, dass bei der
Vergabe von Fremdreinigung im Bereich der Gebäudereini-gung
jährlich rund 1 Mio eingespart werden könnte. Aus
politischen Gründen scheut die Ver-waltungsspitze vor
derartigen Maßnahmen zurück.
Wir können uns
auch keine Veranstaltungen mit öffentlich-rechtlichen
Fernsehsendern leis-ten, die zu einem „negativen
Deckungsbeitrag“ in Höhe von jeweils (!) sechsstelliger
Größen-ordnung führen.
Auch bei der
Stadtbau muss, gerade im Falle einer Veräußerung von
Wohnungen an eine Genossenschaft, eine Personalreduzierung
gegebenenfalls schneller erfolgen, als bisher vor-gesehen.
Die
Frage der Privatisierung muss ebenso wie die Aufgabenkritik
ernsthafter diskutiert wer-den. Es stehen beispielsweise
Interessenten bereit, sofort ein Krematorium zu errichten und zu
betreiben. In städtischer Regie entstehen hier zu hohe
Kosten, wie auch in anderen Auf-gabenbereichen.
Das
Forstamt müsste – mit entsprechenden Vorgaben –
in einen Eigenbetrieb umgewandelt werden (jährliche
Ersparnis: 1 Mio Euro).Abgesehen davon: eine Veräußerung
des Stadtwal-des bringt nicht, wie die Kämmerei ohne
Marktkenntnis meint, 8 bis 10 Mio Euro, sondern mindestens 40 Mio
Euro.
Die Einführung der doppelten Buchführung
(Doppik) wird von der Kämmerei eher hintertrie-ben, als sie
zu beschleunigen. In anderen Bundesländern haben Städte
bereits auf dieses Buchführungssystem umgestellt, das den
Werteverzehr wesentlich eindeutiger aufzeigt, als die
Kameralistik. In Baden-Württemberg steht die Stadt Freiburg
an allerletzter Stelle.
Weitere Beteiligungen können
und müssen aufgegeben werden, so zum Beispiel an der ASF, an
Breisnet, an Praxxis und weiteren Gesellschaften.
9) Ausgeschlossen werden muss jede
künftige Neuverschuldung, sonst tritt der gleiche Effekt ein,
wie in diesem Jahr beim Stadtteil Vauban: kaum ist bekannt, dass
die Baukosten der Straßenbahn (die heute niemand mehr bauen
würde) niedriger als erwartet sind, wird auf die Bebauung
eines Grundstücks verzichtet – und Hunderttausende Euro
vernichtet.
Nochmals: von Prestigeprojekten wie neuen
Straßenbahnen müssen wir uns verabschieden; es wird
schwer genug, den Bestand zu sichern, da Bund und Land ihre
Zuschüsse gekürzt haben und weiter kürzen
werden.
10) Der FDP ist bewusst, dass alle diese Maßnahmen,
die sich in einem Zeitraum
von zwei Jahren realisieren lassen
müssten, vielleicht nicht ausreichen, um eine vollständige
Beseitigung des strukturellen Defizits zu erreichen. Letztlich
wird sich dies nur durch Wachs-tum ermöglichen lassen. Wir
haben aber das Glück, dass die Stadt Freiburg als eine der
we-nigen Großstädte in Deutschland Bevölkerungswachstum
aufzuweisen hat. Aus politischen Gründen wird seit Jahren
versucht, dieses Wachstum zu beschränken, zuletzt durch
Vorlage eines zu knapp geschnittenen Flächennutzungsplans,
bei dem insbesondere Wohnbauflächen sogar reduziert worden
sind.
Nutzen wir die Chancen für mehr Wachstum und
betreiben wir im Interesse künftiger Gene-rationen eine
vorausschauende Flächenpolitik! Die letzten größeren
Flächen, die im Sinne einer Grundstücksbevorratung
erworben wurden, befinden sich in Hochdorf/ Mühlmatten. Der
Erwerb erfolgte Ende der Sechziger Jahre gezielt, um Wohnungsbau
zu ermöglichen. Es war ein politischer Fehler, diese Flächen
als Naturschutzgebiet auszuweisen. Ebenso wie beim Rieselfeld ist
hier eine Umkehr notwendig, die sich natürlich nicht in
wenigen Jahren, sondern nur mittelfristig bewirken lässt.
Weitere Wohnbauflächen, wenn möglich in städtischem
Ei-gentum, müssen ausgewiesen werden, um eine
Wachstumspolitik zu ermöglichen, die dann nachhaltig die
vorhandenen Strukturdefizite beseitigen kann.
11) Alle
Maßnahmen zusammen werden dafür sorgen, dass nicht nur
der Nach-
tragshaushalt 2006 und der folgende
Doppelhaushaltsplan, sondern auch die folgenden Haushaltspläne
genehmigungsfähig sind und eine weitgehende Entschuldung
kurzfristig er-möglicht wird. Kommen dann entsprechende
Flächenausweisungen hinzu, hat die Stadt auch wieder
entsprechenden Gestaltungsspielraum – der völligen
Veräußerung der FSB bedarf es hierfür nicht.
gez.
Patrick T. Evers, Herta König
FDP-Stadträte